Der Abend begann mit der Begrüßung durch Lorenz Friedl (Polis180), auf die ein Impulsbeitrag durch Herrn Dr. Ohnesorge folgte. Er widmete sich zunächst der Überraschungs-Nachricht des Tages: Der neue Papst ist Amerikaner. Eine Entwicklung, über die Donald Trump nicht allzu erfreut sein dürfte, so Dr. Ohnesorge, schließlich sei die stetige Dominanz über den News-Cycle typisch für den derzeitigen US-Präsidenten. Trump betrachte sich schließlich als „the only one that matters.“ Nach den tagesaktuellen Entwicklungen, darunter auch das Handelsabkommen mit Großbritannien, widmete sich Dr. Ohnesorge einer vergleichenden Betrachtung der beiden Trump-Administrationen. Trump II sei sowohl eine Fortsetzung als auch eine Steigerung der ersten Präsidentschaft. Sie sei extremer und zugleich besser geplant, auch in personeller Hinsicht. Man finde unter Trumps Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nun vor allem Loyalisten, darunter auch viele politisch Unerfahrene.
Im Anschluss ließ Dr. Ohnesorge die ersten hundert Tage der zweiten Trump-Administration Revue passieren. Trump war mit einem unerwartet starken Mandat gestartet und erzielte sowohl den Popular Vote als auch die republikanische Trifecta. Entscheidend sei nun für Trump, die Zeit bis zu den Midterms möglichst effektiv zu nutzen, so Dr. Ohnesorge. Über 140 Dekrete hatte Trump an Tag 100 bereits verabschiedet, darunter auch den erneuten Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen. Ein Austritt aus der NATO sei hingegen nicht zu erwarten, zu hoch seien die juristischen Hürden. Doch einen offiziellen Ausstieg bräuchte es nicht, Trump könne sich schlicht weigern, im Bündnisfall Unterstützung zu leisten. Der Abschreckungsmechanismus aus den Zeiten des Kalten Krieges funktioniere derzeit nicht mehr. Die Administration scheine sogar bestrebt, Europa politisch zu spalten, möglicherweise, um die Verhandlungsposition der EU in wirtschaftlichen Fragen zu schwächen, so Dr. Ohnesorge. Im Gegensatz zu Biden habe Trump keine emotionale Bindung zu den Ländern jenseits des Atlantiks – ganz im Gegenteil, er betrachte die EU als Gegenspieler und wirtschaftlichen Ausbeuter.
Neben zentralen republikanischen Akteuren beleuchtete Dr. Ohnesorge auch die Demokratische Partei und stellte deutlich fest, dass ihr unzureichendes Agenda-Setting und die unvorbereitete, kurzfristige Aufstellung von Kamala Harris zum Sieg Trumps beigetragen hätten. Angeraten sei nun, bei der künftigen Suche nach geeigneten Kandidat*innen eine Mittel-Strategie zu verfolgen und entsprechend keine polarisierenden Persönlichkeiten auszuwählen, auch um die Blue-Collar-Wählerschaft wieder mehr anzusprechen. Im folgenden Gespräch schlugen die Teilnehmenden unterschiedliche mögliche Kandidat*innen vor. Die Spekulationen reichten von Gavin Newsom bis Gretchen Whitmer.
Die folgende Fragerunde konzentrierte sich neben wirtschaftlichen Themen auch auf die Stabilität der US-amerikanischen Demokratie. Dr. Ohnesorge äußerte sich vorsichtig optimistisch. Die USA hätten keine autokratische Tradition. Man dürfe trotz der derzeitigen Nachrichtenlage nicht vergessen, dass die USA viel mehr seien als Trump, appellierte er. Die Vereinigten Staaten würden über eine starke Zivilgesellschaft verfügen. Trump blicke allerdings durchaus interessiert gen China und Russland. Eine Vergrößerung des US-amerikanischen Staatsgebietes würde in Trumps Augen ein sehr wirkungsvolles Vermächtnis darstellen, gab Dr. Ohnesorge zu bedenken.
Er nahm in seinen Ausführungen auch Bezug auf seinen persönlichen Forschungsschwerpunkt, die Soft Power Theorie und gedachte mit den Anwesenden des kürzlich verstorbenen Theoretikers Joseph S. Nye. Dr. Ohnesorge führte aus, dass Trumps Machtverständnis fast ausschließlich auf Hard Power basiere. Dies zeige sich einerseits an den gesteigerten Militärausgaben, andererseits aber auch an seiner Zollpolitik. Die Strategielosigkeit sei dabei Trumps Strategie. Er stifte Chaos, um Verhandlungsmasse zu erzeugen und die Reaktionen zu beobachten, so Dr. Ohnesorge, der Trumps Vorgehen mit einem Billard-Spiel verglich. Trump vergesse jedoch die Soft Power der USA, zu der neben Werten, Kultur, Medien und Institutionen auch die Hochschulen und der wissenschaftliche Austausch gehören. Trump schwäche durch sein Vorgehen die Soft Power der USA systematisch und „entzaubere“ sie so zunehmend auch im Ausland.
Im Anschluss fanden sich die Anwesenden zu Gesprächsrunden zusammen und diskutierten angeregt bis in die späten Abendstunden.
Wir möchten uns herzlich bei Herrn Dr. Ohnesorge und den vielen Teilnehmenden für diesen geselligen und informativen Abend bedanken!
Bericht von Laura Mahnke